Friday, June 8, 2012

Solange die Fassade stimmt

Die letzten Tage schrieb ich über Kleidung und Aussehen. Und das Thema beschäftigt mich noch immer. Also dürfen Sie noch einen Artikel drüber lesen. Freuen Sie sich?

Es gibt hier in den USA ein Blog, und ich habe es sogar verlinkt - siehe wo ich lese -, in dem geht es nur um Kleidung und Aussehen von Pastoren (und solchen, die es werden wollen). Manche der Einträge kann ich nachvollziehen, denn Pastoren haben in diesem Land oft die Einstellung, dass es ganz egal sei, was man trüge. Und so habe ich meinen eigenen Pastor noch nie in etwas anderem als Teva-Sandalen gesehen. Egal ob Sonntagsgottesdienst, Beerdigung, Taufe oder Seelsorgegespräch, der Herr Pastor trägt Sandale. (Selbst in unserem kalten und schneereichen Winter.) Nun hat natürlich auch Jesus Sandalen getragen (oder ging barfuss, aber heisst das, das wir das auch machen sollten?)

Andererseits geht mir Peacebang (so heisst die Bloggerin) zu weit. Frauen müssten immer Kosmetik tragen? Immer? Auch bei unseren heissen, feuchten Sommern? Also mir läuft da immer alles weg. Vielleicht bin ich einfach zu unprofessionell. Frauen sollten ausserdem immer hochhackige Schuhe tragen. Die trag ich nie, denn ich benutze meine Füsse noch zum Laufen. Und das geht mit 10 cm am Hacken so schlecht. (Ich kann, wenn ich muss. Hab ja schliesslich mal Turniertanzen gemacht. Aber erkläre mir ja keiner, dass das bequem sei.) Auch hat sie ganz klare Vorstellungen, was man als Pastor (und vorallem als Pastorin) zu tragen und nicht zu tragen habe. Professionell müsse man aussehen. Wie jemand aus der Wirtschaftswelt. Keine Autorität oder Ansehen ohne professionelles "Kostüm". Man müsse mit den Ansichten der Welt gehen, auch wenn einem die Ansichten nicht passen. Und deshalb hat sie sich vor ein paar Tagen auch botoxen lassen. Weil die Falten nicht ihr wahres Pastor-Ich widerspiegeln. Mal abgesehen davon, ob es nun sinnvoll ist, sich eines der stärksten Neverngifte in die Unterhaut spritzen zu lassen und darauf zu hoffe, dass die Kosmetikerin da auch keinen Fehler macht, frage ich mich dann doch, ob es das ist, wofür ich als Pastorin stehen möchte.

Müssen Pastoren immer hip sein? Hilft das irgendjemandem, wenn ich keine Falten im Gesicht habe? Oder mal anders herum gefragt: für was stehe ich da denn eigentlich, wenn mir das Äussere so viel wichtiger ist? Und wie sehen das die Menschen innerhalb und ausserhalb der Gemeinde? Ist der Obdachlose weniger liebenswert, weil er Falten hat, ungeschminkt ist oder dreckige Kleidung anhat? Ist das junge Mädchen in der Jugendgruppe weniger wichtig, weil sie mehr wiegt als der Durchschnitt und lieber weite Kleider als Leggings trägt? Schliesst solch ein Perfektionismus andere nicht eher aus? Sagen wir damit nicht: hier bist Du nur willkommen, wenn Du unseren (und den gesellschaftlichen) Erwartungen entsprichst?

Sicherlich muss man sich als Pastor nicht wie der letzte Hund kleiden. Aber wenn ich an Pastoren oder Menschen allgemein denke, die ich bewundere und respektiere, so sehen die nicht aus, wie ein Model aus dem Katalog. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bonhoeffer sich um seine Falten auf der Stirn sorgte. Oder Mutter Theresa um die Höhe ihrer Schuhabsätze. Oder dass der Dalai Lama in einem Anzug mit Kravatte mehr Autorität hätte.

Bis jetzt dachte ich eigentlich immer, dass es mehr um Liebe, Vergebung, Hilfe und gemeinsames Leben ginge; aber vielleicht bin ich ja auch einfach nur altmodisch und passe nicht mehr in die Zeit. (Oder ich habe der Kirche der heutigen Zeit eben doch ein klein wenig auf den Zahn gefühlt und mal vorsichtig angefragt, ob unsere Besessenheit mit Oberflächlichkeiten vielleicht daran Schuld ist, dass Menschen mit der Kirche nichts mehr anfangen können...)

3 comments:

Jeanie said...

Ich finde es eher befremdlich, wenn sich ein Pastor oder eine Pfarrerin über KLEIDUNG oder Absatzhöhe Gedanken macht.... Das anziehen, in was man sich wohlfühlt, je nach Gelegenheit mal eher leger mal eher festlicher, aber so, daß es zur Person paßt. Und vor dem Altar ist es eh egal, da gibts ja die Soutane (stimmt das so?)

Ich bin da voll und ganz Deiner Meinung! Und eine Pastorin, die herzlich, mitfühlend, offen und liebevoll ist, zu der ich Vertrauen habe ist mir 1.000x mehr wert als so ein geschminktes Barbiepüppchen dem die lackierten Nägel wichtiger sind als die Menschen in der Gemeinde...

DU wirst das ganz wunderbar machen, da bin ich mir sicher!

ninifee said...

Oh Mann, also ich muss doch immer öfter den Kopf über die Staaten schütteln. Manche Sachen sind mehr als - wie sagen die so "weird" ? Hohe Absätze und Kosmetik - ja, das sind die Sachen die wirklich wichtig im Leben eines Pastors sind. Ein Glück das es auch Leute wie dich (uns:) gibt - die so furchtbar normal und altmodisch sind.

LG ninifee die dein Blog mit Begeisterung liest und das schon seit gut 4 Jahren - das wollte ich Mal so sagen und nun ists gut

Wolfram said...

Na ja nun. Ordentlich solls schon aussehen, und der afrikanische Kollege, der im Hawaii-Hemd Beerdigungen zelebrierte, war nun wirklich... äh, sagen wir mal so, von dem reden die Leute heute noch. Vier Jahre später. Obwohl er nur vier Wochen lang da war, und für den ganzen Kirchenkreis.
Ich für meinen Teil vermeide weiße T-Shirts, die sehen doch leicht etwas leger aus, und kurze Hosen ebenfalls. (Ob ich das hier auch durchhalten kann? Mal sehen. Leichte Stoffhosen werden wohl noch angeschafft werden müssen, aber einstweilen warte ich noch, sonst kaufe ich sie zu weit.) Aber ich geh auch nicht in Schlips und Kragen, obwohl das die Generation vor mir noch tat.

Aber ich meine auch (ich bin kaum jünger als Bonhoeffer am Tag seines Todes...), jedes graue Haar und jede Falte in meinem Gesicht erzählt auf ihre Art etwas aus meinem Leben. Und ebensowenig wie ich die Tage und Nächte, zu denen sie gehören, aus meinem Leben streichen kann, ebensowenig kann und will ich sie verschwinden lassen. Ganz faltenlos ist nur ein Babygesicht, aber das hat ja auch noch quasi nichts erlebt.