Thursday, May 12, 2011

Spieglein, Spieglein...

Es ist wahrscheinlich allen klar, dass ich immer wieder mal mit meinem Selbstbildnis und dem Akzeptieren, schweigen wir mal lieber übers Mögen oder gar Lieben, hadere.

Wäre ich doch nur... Ja, was eigentlich? Dünner? Mit lockigem Wuschelkopf gesegnet? 5 cm länger? Und hätte ich all dies; was dann? Wäre ich dann glücklicher? Könnte ich dann endlich mein Leben so leben, wie ich es will. Warum kann ich das dann nicht jetzt?

Ja, ich bin dick (rund, stark, übergewichtig, fett, suchen Sie sich ein Wort Ihrer Wahl heraus). Aber heisst das denn auch, dass ich nicht schön bin? Und nach wessen Massstab? Sind dünne Beine schöner als kräftige? Die Hügel der Toskana finden wir ansprechend. Werden Hügel hässlich, wenn sie aus Fleisch und Blut gemacht sind, anstatt aus Erde und Schiefer?

Und wie wäre mein Leben anders? Würde ich mehr lachen? Warum? Ich könnte mich doch auch jetzt, heute, an Sonnenschein, frischem Grün und der Kirschblüte erfreuen.

Neidisch gucke ich manchmal in Kataloge und Internetangebote und wünsche mir, ich könnte auch Miniröcke tragen. (Also, Mini bis zum Knie, sonst wär's mir denn doch zu kurz.) Oder ärmellos im Sommer, wenn das Thermometer draussen mal wieder 40*C und mehr anzeigt. Aber ich mache das nicht. Weil man, wenn man dick ist, das nicht macht.

Meine Berufskleidung macht es mir da sehr einfach, mich zu verstecken. Also, mein fröhliches, lebendiges, lebensbejahendes Ich. Meine Arbeitskleidung ist schwarz, grau, gedeckt blau. Nur meine selbstgestrickten Strümpfe bringen ein bisschen Farbe ins Leben. (Ausser an Tagen wie heute. Denn wenn ich eine Beerdigung habe, sind natürlich auch meine Socken schwarz. Oder zumindest sehr dunkel.) Es ist eine Kleidung, die Persönlichkeit unterdrückt und anderen sagt, hier ist die Pastorin (Vikarin, was auch immer). Die Kleidung bringt Erwartungen mit sich. Und Privilegien. Niemand wird Sie fragen, warum Sie hier in der Notaufnahme im Weg stehen und für das sterbende Kind beten. Und das ist gut so. Das hilft. Und auch alte, demenzkranke Menschen erkennen wer ich bin, oder besser, für was ich stehe, und haben (meist) keine Angst vor mir. Aber kaum jemand sieht hinter den Kragen oder die gedeckte Kleidung.

Und so kann ich sehr einfach vergessen, dass ich eben auch eine schöne Frau bin. Jemand, mit der man gern zusammen ist. Jemand, die lacht, nicht nur immer zuhören will, sondern auch mal selbst was erzählen mag und die auch mal den einen oder anderen Mann dazu bringt, den Kopf nach ihr umzudrehen.

Ich bin weder hässlich, noch freakisch, noch unscheinbar. Ich kann Miniröcke, bunte Strumpfhosen und ärmellose Tops tragen. Ich darf meine Kurven zeigen und brauche keine Kartoffelsäcke zu tragen, nur weil man sich, ist man denn dick, versteckt.

Und so werde ich versuchen, mehr und mehr mein Leben jetzt zu leben. Und nicht zu warten, bis A,B, oder C endlich passiert sind. Und wer findet, dass jemand, der jenseits von Konfektionsgröße 42 durch das Leben geht, sich besser verstecken sollte, in grau und schwarz durchs Leben schleichen sollte und endlich so aussehen sollte, wie die Fitnessprospekte es zeigen, möge doch bitte schweigen. Ich bin nicht interessiert. Ich muss nicht repariert werden, weil ich nicht aussehe wie Topmodels ala Heidi Klum. Ich weder zu dumm, um dünn zu sein noch bin ich eine Beleidigung anderer Augen.

Ich bin wie ich bin und kann und werde mein Leben so leben, wie ich es mag.

Just try to stop me...

7 comments:

Rika said...

Liebe Frau Ringel,
das ist ein ganz wunderbarer Beitrag!
Wie viele Menschen verbringen ihr Leben damit, in den Spiegel zu schauen, ob auch alles in Ordnung ist, die Frisur richtig sitzt, die Falten (noch) nicht zu zahlreich sind, die Taille schön schlank usw. usw., und verpassen dabei ihr Leben. Und wie viele Menschen verfallen dem Wahn, einer ganz bestimmten Norm - die Kleidergröße ist ja nur eine von vielen Normen - gerecht werden zu müssen und werden todunglücklich.
Darum DANKE für diese großartige "Spiegelung".
Man sollte sie sich hinter den Spiegel stecken, damit man es niemals vergisst: Mein Wert hängt nicht von Äußerlichkeiten und erfüllten Normen ab - und meine Schönheit auch nicht!

Anonymous said...

Dieser Kommentar ist von Rika. Blogger hat ihn einfach gelöscht. Aber so schnell lassen wir uns ja nicht einschüchtern...

Liebe Frau Ringel,
das ist ein ganz wunderbarer Beitrag!
Wie viele Menschen verbringen ihr Leben damit, in den Spiegel zu schauen, ob auch alles in Ordnung ist, die Frisur richtig sitzt, die Falten (noch) nicht zu zahlreich sind, die Taille schön schlank usw. usw., und verpassen dabei ihr Leben. Und wie viele Menschen verfallen dem Wahn, einer ganz bestimmten Norm - die Kleidergröße ist ja nur eine von vielen Normen - gerecht werden zu müssen und werden todunglücklich.
Darum DANKE für diese großartige "Spiegelung".
Man sollte sie sich hinter den Spiegel stecken, damit man es niemals vergisst: Mein Wert hängt nicht von Äußerlichkeiten und erfüllten Normen ab - und meine Schönheit auch nicht!

das Miest said...

Frau Ringel, war nicht dieses Jahr ein Deutschlandbesuch geplant? Inklusive Berlin/Potsdam? Wenn ja, dann schenken Sie mir 2-3 Stündchen im Park von Sanssouci und ich mach' Ihnen ganz viele schöne Fotos von sich in bunt zum hinter den Spiegel stecken :-).

Ju said...

"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Antoine de Saint-Exupéry

Ich bezweifle, dass die Topmodels von heute glücklich sind, denn sie könnten ja noch besser aussehen. Auch die meisten Millionäre sind nicht zufrieden, denn man könnte ja noch mehr Geld besitzen....
Und was will ich mit all dieser Oberflächlichkeit, wenn ich stattdessen Frau Ringels lustige Geschichten aus dem Leben einer Pastorin lesen kann - oder auch mal was zum Nachdenken wie das hier.
Aber Sie haben ja recht - es ist so verdammt schwer sich einfach nur an den postiven Dingen zu erfreuen, die man momentan hat anstatt den Dingen nachzutrauern, die man haben könnte. Geht mir gerade auch so.

Anonymous said...

Heute mal anonym...

Ich glaube, ich könnte ein Buch zu diesem Thema schreiben. Oder besser zwei?

Ein Sachbuch darüber, dass ich (und Sie!) eine Tochter Gottes sind, der uns liebt. So wie wir sind. Und dass unser Wert mitnichten an einer Konfektionsgröße hängen kann. Dass wir selbstverständlich liebenswert sind und uns auch selbst lieb haben sollten.

Und eine depressive Biographie darüber, wie wenig mir das gelungen ist. Wie sehr meine Unzufriedenheit (Selbsthass?) wegen dieser Kilos zu viel mein ganzes Leben beeinträchtigt hat. Obwohl mein Mann mich liebte. Sex, Kleidungskäufe, Geduld mit meinen Kindern, ... - nichts war ungetrübt.

Gedeckte Kleidung. Ja, ich mag schwarz. Aber ich liebe auch leichte Stoffe, bunte Farben. Schwierig, wenn man permanent an sich herumzupft, auf dass T-Shirts halbwegs locker fallen mögen.

(Vermeintliche?) Blicke, ein übler Fokus auf EINEN Lebensbereich - es ist ungesund. Und dann kommen wohlmeinende Menschen auf die naheliegende Frage, warum man denn nicht "einfach" etwas abnehme, wenn man sie einen Blick in die emotionalen Nöte werfen lässt.

Ich möchte mein Erleben nicht mit dem Ihren gleichsetzen, aber ich denke, dass bestimmte Dinge nicht wirklich verstanden werden von Menschen, die mein Problem nie hatten. Das heißt nicht, dass es mir egal ist, ob sie lieb zu mir sind. Nur mit den Ratschlägen ist es schwer...

Ich habe mich nicht entschließen können, unter gleichen Vorzeichen den Blick zu ändern. Das, was mein Verstand mich wissen lässt, auch zu fühlen. Und nach einem erneuten Tiefpunkt habe ich im Januar nach vielen Jahren einen Versuch gestartet, noch einmal ein wenig am Äußeren zu ändern, auf dass es sich mit dem Inneren anfreunden kann. Keine überzogenen Ziele, sogar die mir eigene Ungeduld halte ich in Schach. Ich strebe kein Wunder an und mache mir keine Illusionen. Es ist eher ein Versuch der Annäherung von beiden Seiten. Zum Beispiel eine Bermuda in Größe 46 mit dem Gefühl, dass mir das zusteht und ich mir gefallen kann. Als Frau. Trotz dicker Beine.

Und deshalb möchte ich wirklich von Herzen JA zu Ihren Gedanken sagen! Sie sind eine hübsche Frau, Sie haben zum Beispiel wunderschöne Augen! Da, wo die Vikarin hingehört, bitteschön. Spricht etwas dagegen, zum grauen Gewand rote Nägel oder einen schönen Lidschatten zu tragen, wenn Ihnen danach ist? Und zum Feierabend ziehen Sie an, was Sie mögen.

Wenn ich zurück blicke, denke ich traurig, wie viel Lebenszeit ich an den Frust und Scham verschenkt habe. Und hoffe, dass ich es besser machen kann. Als Mutter macht es mich besonders traurig, wenn ich mir überlege, wie zeitig schon mir meine Andersartigkeit eine Last war. Damals war ich beileibe NICHT fett. Nur nicht dünn wie die meisten Mädels in meiner Klasse.

Wir sollten wirklich leben! Freude haben! Und uns lieben.

Herzliche Grüße!

Anonymous said...

Danke! :)

LG

Nadelmaid

Wolfram said...

Vor 17 Monaten fragte mich eine Frau (nein, keine Dame...) aus der Gemeinde, wer den nun schwanger wäre, die Pfarrfrau oder ich. Das gemeine ist ja, der Pastor darf dann noch nicht mal sauer sein...

In Anbetracht der Tatsache, daß das Pfarrfraubaby ab morgen ein Jahr alt sein und deshalb in den Status "Pfarrfraumädchen" übergehen wird, war ich es wohl nicht... aber dieser Tage habe ich jemandem, der es vertragen kann, auch gesagt: "es wird wohl ein Elefant." (In Deutschland hätte ich Ottifant gesagt, aber wer kennt die schon in Frankreich?) Und hinzugefügt: "denn der Rüssel schaut schon raus."
Da war erst mal Ruhe.

Dennoch bin ich hier der kleine Dicke, erst recht, wenn die Kollegin in wenigen Wochen die Stelle wechselt, die bisher noch das Gegengewicht darstellt. Aber ich kriegs nicht runter, wie auch, wenn mich die Leute bei den Besuchen immer füttern?

So, und nun: meine Kollegin findet seltsamerweise (?) niemand dick. Vielleicht, weil sie fröhlich-dick ist oder wenigstens scheint. Sie versteckt sich nicht krampfhaft, macht sich nicht grau und häßlich, sondern trägt bunt. Nur halt Größe 56. (Oder so...) Wir haben ja keine Dienstkleidung außerhalb des Gottesdienstes.

Ähm, Europa-Urlaub - in welcher Gegend denn? (neugierig bin ich ja nicht!)